Die Fahrradhochburg Bielefeld war auf dem Sektor des Radsports gegenüber den anderen Hochburgen Nürnberg und Chemnitz ins Hintertreffen geraten. Die behelfsmäßigen Pisten auf den Laufbahnen der Sportplätze Königsbrügge und an der Pottenau waren einem Zentrum der Fahrradindustrie nie würdig gewesen. 1950 gab es endlich den Startschuss für den Bau der langersehnten Betonbahn mit überhöhten Kurven. Engagiert wurde der renommierte Architekt und Ex-Rennfahrer Clemens Schürmann. Dieser war es, der das Zauberwort „fugenlos“ ins Spiel brachte. Um dieses Alleinstellungsmerkmal zu bekommen, bewilligte der Rat der Stadt Bielefeld nachträglich Mehrkosten von 60 000 DM. Die Entscheidungsträger ließen sich vom Architekten versichern, dass es nirgendwo in Deutschland eine vergleichbare Bahn gäbe. Dieser Vorgang zeigt, wie wichtig den Stadtoberen in Politik und Verwaltung diese technische Besonderheit war. Eine Bahn ohne Längs- und Querfugen – die versprach einen sagenhaft guten Fahrkomfort und neue Geschwindigkeitsrekorde, womit das Image der Fahrradhochburg aufpoliert werden konnte.
Der erste Spatenstich erfolgte im Oktober 1950. Zum Bau wurden 41.000 Kubikmeter Kriegsschutt und Müll sowie 19.800 Kubikmeter Muttererde aufgeschüttet. Der spätere Innenraum wurde um 1,70 Meter im Niveau gesenkt, die Tribünen sollten sich sechs Meter darüber erheben. Beachtenswert ist die Bahn in fugenloser Spannbetontechnik, die von der Firma Dyckerhoff & Widmann KG ausgeführt wurde. Die Kurven weisen eine Neigung von über 46° auf. Die Bahn ist von Tribünen umgeben, die 9.000 Steh- und 6.000 Sitzplätze aufweisen. Eine Trainings- und Flutlichtanlage sorgte für ausreichende Beleuchtung bei Abend- und Nachtveranstaltungen.
Der Bau der Radrennbahn Bielefeld
Bildpräsentation mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Bielefeld
Um das Prädikat „fugenlos“ zu erhalten, musste in aufwändiger Spannbetonmanier gebaut werden. Diese Technik – ohne die üblichen Dehnungsfugen des konventionellen Betonbaus – verlangt eine besondere Vorbereitung des Untergrunds und die anspruchsvolle Konstruktion eines stählernen Skeletts. Die Bauweise fand seinerzeit nur Anwendung bei Brücken, Fahrbahnen und Flugplatzpisten. Erschwerend kamen hier noch das Arbeiten in den Steilkurven und die außergewöhnliche Form einer ovalen Piste hinzu. Definitiv wurde hier bautechnisches Neuland betreten, vergleichbare Erfahrungen aus ähnlichen Bauprojekten lagen nicht vor. Betrachtet man die Fotos vom Bau der Bahn, wird deutlich, dass die ausführende Firma Dyckerhoff & Widmann (DYWIDAG) an die Grenzen des Machbaren ging. Vor allem das Betonieren der schrägen Fahrbahn und das gleichmäßige Verdichten der Betonmasse forderten den Beteiligten alles ab.
Die Fahrbahndecke wurde in vielen Teilabschnitten gegossen, die Arbeiten nahmen viele Wochen in Anspruch. Und schließlich – wie es einem Oval eigen ist – trafen sich Anfang und Ende der betonierten Piste an einer Schlussfuge von etwa 60 cm Breite. An dieser Nahtstelle kam es zu den wichtigsten abschließenden Arbeiten wie dem Spannen der Stahlstäbe, horizontalen Zusammenpressen der Betonfahrbahn durch hydraulische Hochdruckpressen und Verpressen des flüssigen Mörtels in die Hüllrohre der Stahlstäbe. Man kann diese Arbeiten durchaus mit einer „Operation am offenen Herzen“ vergleichen, denn hier entscheidet sich die Qualität des Bauwerks, sein Gelingen oder Scheitern. Nach Abschluss dieser Arbeiten wurde diese Fuge, nur mit Stahlmatten armiert, mit Beton geschlossen.
Das „Himmelfahrtskommando“ ist gut ausgegangen, nach fast 70 Jahren können immernoch problemlos Rennen ausgetragen werden. Die Betonpiste verdient das Prädikat „fugenlos“, weil die Schlussfuge so geschickt gefertigt wurde, dass sie weder vom Zuschauer noch vom Rennfahrer bemerkt wird. Dem sogenannten „schönen Schein“ wurde damit Genüge getan, die Fachwelt überschlug sich seinerzeit mit Superlativen in der Beurteilung der Bahn. Der bautechnische Kniff in Form der Schlussfuge war unumgänglich, diese Erkenntnis mindert den technischen Aspekt des Denkmals keinesfalls. Ganz im Gegenteil hebt sie seinen Wert, man versteht die Probleme und Schwierigkeiten beim Bau, aber auch seine Raffinesse. Man kann angesichts der damaligen Zeitumstände mit ihren eingeschränkten Möglichkeiten nur den Hut ziehen vor dieser meisterlichen Handwerkerleistung.
Komplettiert wurde das Radrennstadion durch Gebäude mit Dusch-, Umkleide- und Massageräumen sowie Garagen für die Motorräder der Schrittmacher und die Rennräder der Fahrer. Auf dem kleinen Vorplatz wurden fünf Kassenhäuschen für den Kartenverkauf aufgestellt und ein Gastronomiebetrieb namens Radrennbahn-Klause eingerichtet. Am 29. Mai 1953 wurde Richtfest der Bahn gefeiert, die letztlich über 600.000 Mark kostete. Zum Eröffnungsrennen am 14. Juni 1953 kamen 15.000 Zuschauer, im ersten Jahr insgesamt rund 50.000 Zuschauer. Noch Anfang der 1960er Jahre besuchten jährlich 10.000 Zuschauer die Bahn, bis der Stehersport an Anziehungskraft einbüßte.
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